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Copyright © 2017 Fred Mario Sutterer
Fotografiert an einer Hauswand in Weimar am 7. Juni 2017 auf dem Weg nach Wittenberg zur Feier 500 Jahre Reformation.

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Karel Hvížďala: “Sehen sie in den achziger Jahren irgendwo einen Hoffnungsschimmer?”

Václav Havel: “Zuerst sollte ich wohl sagen, dass ich die Hoffnung […] vor allem, ursprünglich und hauptsächlich als einen Zustand des Geistes, nicht einen Zustand der Welt begreife.

Hoffnung haben wir entweder in uns oder wir haben sie nicht, sie ist eine Dimension unserer Seele und ist in ihrem Wesen nicht abhängig von irgendwelchem Beobachten der Welt oder Abschätzen von Situationen. Hoffnung ist keine Prognostik. Sie ist Orientierung des Geistes, Orientierung des Herzens, die die unmittelbar gelebte Welt übersteigt und irgendwo in der Ferne verankert ist, hinter ihren Grenzen.

Als blosses Derivat von etwas Hiesigem, irgendwelcher Bewegungen in der Welt oder deren günstiger Signale scheint sie mir einfach nicht erklärlich zu sein. Ihre tiefsten Wurzeln spüre ich also irgendwo im Transzendenten, ebenso wie die Wurzeln der menschlichen Verantwortung, ohne dass ich fähig wäre - im Unterschied zum Beispiel zu den Christen -, über dieses Transzendente etwas Konkretes zu sagen. An dieser meiner Überzeugung - eigentlich ist es mehr als Überzeugung, es ist innere Erfahrung - ändert sich nichts das Maß, in dem dieser oder jener Mensch eine Verankerung seiner Hoffnung zugibt oder in welchem Maße er sie bereitet: der überzeugteste Materialist und Atheist kann von dieser inneren, echten und im Transzendenten (nach meiner - nicht seiner - Meinung!) verankerten Hoffnung mehr haben, als zehn Metaphysiker zusammen. Das Maß der Hoffnung in diesem tiefen und starken Sinne ist nicht das Maß unserer Freude am guten Lauf der Dinge und unseres Willens, in Unternehmen zu investieren, die sichtbar zu baldigem Erfolg führen, sondern eher das Maß unserer Fähigkeit, uns um etwas zu bemühen, weil es gut ist, und nicht nur, weil es garantiert Erfolg hat. Je ungünstiger die Situation ist, in der wir unsere Hoffnung bewähren, desto tiefer ist diese Hoffnung.

Hoffnung ist eben nicht Optimismus. Es ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat - ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht.

Ich denke also, dass wir die tiefste und wichtigste Hoffnung, die einzige, die uns trotz allem an der Oberfläche zu halten, zu guten Taten anzuhalten im Stande ist, und die einzige echte Quelle der Großartigkeit des menschlichen Geistes und seines Bemühens, von «anderswoher» nehmen. Und diese Hoffnung vor allen Dingen ist es auch, die uns die Kraft gibt zu leben und es immer wieder aufs neue zu versuchen, seien die Bedingungen äußerlich auch noch so hoffnungslos wie zum Beispiel die hiesigen.”

Fernverhör • Ein Gespräch mit Karel Hvížďala; Deutsch von Joachim Bruss; Reinbeck bei Hamburg 1987. Tschechischer Originaltitel: Dálkový výslech – Rozhovor s Karlem Hvížďalou, London 1986 • Václav Havel *1936 †2011

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